»Entmenschlichter Rassenwahn«

Vertriebene schreiben Geschichte

Mit einer Welle der Zustimmung reagierte im vergangenen Jahr die bundesdeutsche Öffentlichkeit auf die Veröffentlichung von Günther Grass’ Novelle Im Krebsgang, die die »Vertreibung der Deutschen« ›endlich‹ einmal thematisierte und dabei das ›deutsche Leid‹ in den Vordergrund stellte. Ein Tabu-Bruch angeblich, der Historiker Hans-Ulrich Wehler empfand die darum entfachte Debatte als besonders wichtig, weil »befreiend«.

Auch in diesem Sommer wurde zum x-ten Mal das Tabu gebrochen, das niemals eines war: In der (erneuten) Diskussion um das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen, dem nun in Form des geplanten Zentrums gegen Vertreibungen mit institutionalisierter ›deutscher Trauer‹ gedacht werden darf, konnten sich wieder alle ›endlich‹ von der Seele reden, was ihnen angeblich so lange auszusprechen verwehrt gewesen war. Lang genug habe Deutschland sich den Schuld-Schuh angezogen, nun müsse Schluss sein damit, statt dessen Zeit und Raum für die aggressive Selbstbemitleidung, mit der die ›Vertriebenen‹, die Ausgebombten, die Nichts-gewusst-Habenden, Walsers und Gleichgesinnte die Öffentlichkeit für sich einnehmen.

»Kein anderes Land hat seine Schuld so intensiv besprochen wie wir«, stimmt Joachim Gauck ein. Erika Steinbach, Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV), Bundestagsabgeordnete der CDU aus Frankfurt/Main und Vorsitzende der Stiftung des Zentrums, fordert die Bundesregierung auf, »nicht nur für die Gefühle unserer Nachbarländer Polen und Tschechien Verständnis aufzubringen, sondern in zumindest gleichem Maße für ihre eigenen Bürger.« Sie übersieht scheinbar die vielen Millionen Euro, mit denen die Bundesregierung jährlich Steinbachs Verein Mitleid bekundet.

Die Forderung, über die Vergangenheit »in ihrer Gesamtheit« zu sprechen, stellt auch Herman Czaja, ehemaliger BdV-Vorsitzender, Wehrmachtssoldat und »Befreier Europas« (von allem »Undeutschen«, versteht sich). Er formuliert das folgendermaßen: Bei der Thematisierung der »Untaten Deutscher« gelte es, »sich auf beiden Seiten von Kollektivschuldbehauptungen gegen die gesamte andere Nation zu distanzieren.« Abgesehen davon, dass er damit die deutschen Verbrechen zu Taten Einzelner redet, stellt sich die Frage, von welchen Vorwürfen von tschechischer bzw. tschechoslowakischer und polnischer Seite er spricht.

Die Opferwerdung der ›Sudetendeutschen‹

Diese seltsame ›Auseinandersetzung‹ mit der Vergangenheit lässt sich nahtlos einreihen in den Opferdiskurs, der seit Ende des Krieges in Deutschland geführt wurde. Ein Tabu hat nie existiert. Es ist genau so ein Mythos wie der ständig herbei halluzinierte Vorwurf der Kollektivschuld, der nie von Polen oder Tschechien gegenüber Deutschland vorgebracht wurde, gegen den von deutscher Seite aber seit Jahren geschattenboxt wird. Kaum eine Diskussion wurde im Nachkriegsdeutschland so unermüdlich geführt wie die über das deutsche Leid, und zwar ohne dass sich ernsthaft mit der deutschen Vernichtungspolitik als Ursache der Umsiedlungspolitik auseinandergesetzt wurde. Folge einer solchen Praxis ist das Erstarken einer geschichtsrevisionistischen Haltung, mit der einer Entkontextualisierung das Wort geredet wird.

So ist denn auch der Entwurf für das Zentrum gegen Vertreibungen einzuordnen. Bereits seit 2000 besteht die gleichnamige Stiftung, die von Erika Steinbach und Peter Glotz, SPD-Bundestagsabgeordneter und ›Vertriebener‹, geleitet wird. Das Konzept ist nachzulesen unter http://www.z-g-v.de. Hier wird klar, dass es dem Zentrum nicht um historische Abläufe, Dokumentation und kritische Auseinandersetzung geht. Mit einer Ausstellung, die den Menschen »ans Gemüt« (Steinbach) gehen soll, sieht das Konzept der Stiftung eine Interpretation der Täter­Innen als Opfer vor. Die »Kultur, das Schicksal und die Geschichte der deutschen Vertriebenen und ihrer Heimat (sollen) im Zusammenhang erfahrbar« gemacht, sowie der »deutschen Opfer« gedacht werden. Die Debatte darüber, dass »auch wir Opfer waren«, müsse, so Glotz, »weitergeführt werden, und zwar nicht in einem politisch korrekten Gesäusel, sondern man muss die Wahrheiten auf den Tisch legen«. Und wenn die Deutschen die Opfer waren, dann ist ja auch klar, wer schuldig ist.

Mit der Dauerausstellung Schicksalsweg der deutschen Heimatvertriebenen wird auf das »Unrecht« hingewiesen, welches denen widerfahren sei, die sich heute als letzte Opfer Hitlers bezeichnen. Dabei bleiben wesentliche Punkte ausgeblendet, z.B. dass diese ›sudetendeutschen Opfer‹ 1938 bei den Reichstagsergänzungswahlen im späteren ›Mustergau Sudetenland‹ bei einer fast 100%igen Wahlbeteiligung unter den »Sudetendeutschen« zu über 98 Prozent für die Nationalsozialisten stimmten, von Unschuld also nicht zu sprechen ist.

Verschiedene Wanderausstellungen zu »Vertreibungen anderer Völker« sind ergänzend zu der Dauerausstellung geplant, darunter z.B. eine über die »vertriebenen Kosovo-Albaner«. Sie sollen eine gemeinsame »europäische Erfahrung« der Vertreibung aller möglichen »Volksgruppen« suggerieren. Unterstützung findet die Stiftung daher selbstredend bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), deren Generalsekretär Tilman Zülch einer der Förderer der Stiftung ist. Wie die GfbV versteht sich auch die Stiftung als »Menschenrechtsorganisation«. Entsprechend hat sie den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis ausgeschrieben, der kürzlich zum ersten Mal verliehen wurde: U.a. ging er an das tschechische Kreuz der Versöhnung, mit dem 1945 von TschechInnen ermordeten Sudetendeutschen gedacht wird. Der 1938 vor den Nazis aus Prag geflohene Schriftsteller Werfel rotiert in seinem Grabe.

Alle für ein Zentrum

Trotz der Legitimationsbemühungen der Stiftung gibt es noch ein paar Unbelehrbare. Besonders aus Polen und Tschechien kommt die Kritik, aber auch z.B. vom Bundeskanzler, der allerdings 2000 noch der Stiftung zu ihrer Existenz beglückwünschte. Nun ist wohl der Unmut aus den Nachbarländern zu groß geworden, als dass ein national ausgerichtetes Zentrum in Europa von Regierungsseite noch vermittelbar wäre.

Peter Glotz aber will sich sein Museum nicht verbieten lassen: »Jedes Land hat das Recht, sich mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen.« Der SPD-Europaabgeordnete Klaus Hänsch unterstützt: »Es ist Sache der Deutschen, wie sie mit ihrer Vertreibung umgehen.« Auch Frau Steinbach hält den »Amoklauf gegen das Zentrum« für »völlig unbegründet«.

Vielleicht sollten die KritikerInnen mal den »Wissenschaftlichen Beirat« der Stiftung fragen, der attestiert dem Zentrum nämlich nur Gutes. Möglicherweise liegt das wiederum aber an der Zusammensetzung des Rats. Es fällt doch auf, wie viele alte Bekannte hier anzutreffen sind: Der Historiker Arnulf Baring, der sich seit Jahr und Tag in der FAZ für die Sache der »Vertriebenen« stark macht; Horst Möller, Leiter des Münchener Instituts für Zeitgeschichte und bekennender Ernst Nolte-Fan; Dieter Blumenwitz, Völkerrechtler und ständiger Gutachter für die Sudetendeutsche Landsmannschaft, der u.a. »Ansprüche« von »Vertriebenen« auf im Verlauf der Umsiedlungen enteigneten Besitz einfordert; Guido ›der Hitler war’s‹ Knopp u.v.m.

Aber auch wer Steinbach und Glotz nicht in allen Punkten folgt, braucht nicht zu zögern, sich an der deutschen Selbstviktimisierung zu beteiligen. Denn nicht nur die Salon-Rechten der Republik setzen sich für ein Zentrum ein. Es trauen sich mittlerweile viele, die zumindest früher als Linksliberale galten, wie z.B. Grass oder Wehler, ›deutsche Ansprüche‹ zu formulieren. In einem wiedervereinigten und wiedererstarkten Deutschland ist die Ausgangsposition selbstverständlich eine ganz andere als vor zehn Jahren.

Ein Zentrum für alle

Beispielsweise Markus Meckel von der SPD braucht gar nicht erst von der Dringlichkeit der Thematisierung auch ›deutschen Leids‹ überzeugt zu werden. Der so genannte Meckel-Aufruf kursiert in den Medien als ›Alternative‹ zum Steinbachzentrum. Darin wird zunächst die »nationale Ausrichtung« des Steinbach/Glotz-Entwurfes kritisiert. Meckel versteht seine geplante »Institution gemeinsamer Erinnerung« als Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen und Deportationen, wo er »Geschichte in Europa gemeinsam aufarbeiten« lassen will. Der Vorschlag klingt harmloser als er ist.

Im Fokus seines Aufrufes stehen – wen wundert’s – die »ethnischen Säuberungen«. Spätestens seit den Balkankriegen hat dieser Begriff in Publizistik und Wissenschaft Hochkonjunktur. Wissenschaftler wie der US-amerikanische Historiker Norman Naimark sehen darin ein Merkmal der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts und fassen darunter die »Vertreibung der Juden aus Deutschland bis 1942« (›Begründung‹: die Vernichtungspolitik der Nazis sei erst mit der Wannseekonferenz auf völlige Ausrottung der JüdInnen angelegt gewesen) genauso, wie die ›Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa‹ und ›die Vertreibung der Kosovo-AlbanerInnen aus Jugoslawien‹.

So zeigt sich auch schon die weitgehende Parallelität der Inhalte und Schwerpunkte beider Entwürfe. Während historische und politische Zusammenhänge verschleiert werden, wird auch bei Meckel eine gemeinsame europäische Erfahrung beschworen. Und auch im Meckel’schen ›Alternativvorschlag‹ wird die Vorstellung impliziert, die SSR hätte die deutsche Minderheit ausgesiedelt, um lang ersehnte ›ethnische Homogenität‹ auf ihrem Territorium zu erzeugen.

Eigentlich wird ja auch nur noch über den Ort des »Gedenken(s) an die Opfer« und » zu Besinnung und Andacht« gestritten. Während Meckel, Grass und Co. lieber gleich im polnischen Wroclaw den PolInnen und TschechInnen zeigen wollen, wie diese gefälligst der Deutschen zu gedenken haben, präferiert die Konkurrenz einen anderen Ort. Der soll v.a. »repräsentativ« sein, fordert Steinbach, schließlich soll es auch jedeR wissen, dass die Deutschen die längste Zeit eine TäterInnengesellschaft gewesen sind. Der Entwurf von Steinbach, Glotz und anderen völkischen GesinnungsgenossInnen sieht das Zentrum daher auch in Berlin, in unmittelbarer Nähe zum Holocaust-Mahnmal. Denn, so formuliert die BdV-Vorsitzende: »Im Grunde genommen ergänzen sich die Themen Juden und Vertriebene miteinander. Dieser entmenschlichte Rassenwahn hier wie dort, der soll auch Thema in unserem Zentrum sein.«

Der Unappetitlichkeit nicht genug, ›argumentieren‹ ›Vertriebene‹ fleißig weiter gegen die angeblich »rassistische Politik« der Tschechoslowakei. Dabei sind derlei Behauptungen nicht nur absurd, sondern eine Verhöhnung der Opfer der deutschen Expansionspolitik.

Apropos Expansionspolitik

Den KritikerInnen in Tschechien wurde unlängst von Bernd Posselt, dem Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft, gezeigt, wie der Hase läuft. Wie um zu verdeutlichen, welche Rolle die Sudeten auch zukünftig in der Politik Tschechien gegenüber haben werden, eröffnete er im März dieses Jahres in Prag ein Büro, die »sudetendeutsche Botschaft«.

(ram)

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