Das braucht kein Mensch

Korporationen,Marktfrühschoppen und Repression

Im Zentrum der Kritik an Korporationen steht häufig das rechtsradikale Weltbild, insbesondere von Burschenschaften, die dem Dachverband Deutsche Burschenschaft angehören. Diese Kritik ist zwar richtig und notwendig, greift aber zu kurz, wenn das Phänomen Korporationen im Allgemeinen betrachtet werden soll.

Nicht alle studentischen Verbindungen sind rechtsradikal; es existieren jedoch Strukturen, die allen gemein und als reaktionär abzulehnen sind. Verbindungen sollen der Erziehung einer neuen Elite für gesellschaftlich relevante Lebensbereiche (Politik, Wirtschaft, Kultur) dienen. Diese Erziehung ist dominiert von der Vermittlung nationalen Geschichtsbewusstseins, traditionellen Geschlechterverhaltens, elitärer Gesellschaftsbilder, insgesamt konservativer Lebensprinzipien. Schon die Aufnahmekriterien der meisten, insbesondere schlagender Verbindungen: deutsch, männlich, militärisch geschult, offenbaren ihren reaktionären Charakter.

Auch vermeintlich liberale Korporationen funktionieren über ein hierarchisches Organisationsprinzip, Rituale und Seilschaften. Sämtliche Verbindungen haben einen streng hierarchischen Aufbau, der sich in die Verbindungslebensabschnitte Fux, Bursche u.ä. sowie Alter Herr gliedert. (Gemischte oder Frauenverbindungen lehnen sich an diese Struktur an und nennen ihre weiblichen Mitglieder dann »Damen«.) Der Fux lernt sich unterzuordnen. Er akzeptiert das Befehl-Gehorsam-Prinzip, in dem er zunächst der Unterlegene ist, in dem Wissen, auf der Befehlsleiter aufzusteigen und durch Unterordnung seine Karrierechancen immens zu erhöhen. Er nutzt die infrastrukturellen, materiellen und perspektivischen Vorteile, die ihm seine Verbindung bietet und unterwirft sich im Gegenzug der Gemeinschaft. Als aktiver Bursche, Corpsstudent oder sonst was Blödes lernt er nach oben zu buckeln und nach unten sein neues Privileg, die Befehlsgewalt, auszuüben. Im Stadium des Alten Herren kann er sich nun die Vorteile von Seilschaften zu Nutze machen, um – ist er nicht total ungeschickt – eine steile Karriere vorzubereiten. Seilschaften meint, dass Verbindungsherren zunächst bemüht sind, ›ihresgleichen‹ in gesellschaftlich anerkannte Positionen zu bringen – hier können sie sicher sein, dass Verhaltensmuster und Gesinnung ›stimmen‹. Dass eine Verbindung gegen den alten Filz rebelliert, ist kaum zu erwarten; als Geldgeber und Sprungbrett besitzen die alten Herren eine viel zu einflussreiche Stellung innerhalb der Verbindungen. Da sich in der politischen und ökonomischen Elite überproportional viele Korporierte befinden, kann die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen nicht, wie viele meinen, als gesellschaftlich irrelevant betrachtet werden.

Auch die merkwürdig anmutenden Rituale dienen dem Sich-Einfügen in die Gemeinschaft. So mag es zunächst absurd klingen, dass sich bis zur Besinnungslosigkeit zu besaufen einen höheren Sinn als Lustgewinn haben soll; aber die Form, in der dies geschieht, dient der ideologischen Festigung. So wird beispielsweise nach einer vermeintlichen Beleidigung und der daraufhin folgenden Aufforderung zum Duell ein Bierkampf zur Rettung der Ehre veranstaltet. Wer schneller eine zuvor rituell festgelegte Menge Bier ext, hat sich durchgesetzt. Man mag einen solchen Schwachsinn kaum glauben, aber dahinter verbirgt sich die Ideologie des Rechts des Stärkeren.

Dass die meisten Korporationen keine Frauen aufnehmen, liegt an deren dualistischem Geschlechterbild und dessen Zuschreibungen, das der Verbindungsideologie inhärent ist. Frauen sollen dem Manne zu mehr Ansehen verhelfen – er ist nicht nur ein guter Manager, sondern auch ein toller Hecht – und ansonsten die ihnen klassisch zugeschriebenen Aufgaben wie Kindererziehung und seelischer Mülleimer wahrnehmen. Aufgrund dieser klassischen Geschlechterrollenzuschreibung wäre es auch unlogisch, Frauen in gesellschaftliche Spitzenpositionen hieven zu wollen.

Als Lebensbund angelegt, also die exklusive Gemeinschaft um jeden Preis erhaltend, fordert und fördert die Korporation die Rücknahme von selbstständigem Denken zu Gunsten von festgelegten Regeln und Prinzipien.

Auch wenn einige Marburger Verbindungen sich nach massivem öffentlichen Druck in der Marburger Erklärung von rechtsradikalen Tendenzen distanzieren, ist keineswegs Progressives von ihnen zu erwarten; die strukturellen Bedingungen, denen Korporationen unterliegen, stehen dem diametral entgegen. Ganz abgesehen davon, dass in Dachverbänden weiterhin gemeinsam Politik betrieben wird und auf dem Marktfrühschoppen oder manchmal auch weniger öffentlich zusammen gefeiert wird.

Der Marktfrühschoppen

So oft wie man hört, der Marktfrühschoppen sei ein Fest für alle Marburger BürgerInnen mit ihren StudentInnen, so falsch ist das auch. Der Marktfrühschoppen ist ein ›Fest‹, an dem sich alljährlich, am ersten Sonntag im Juli, die Reaktion trifft um Präsenz zu zeigen. Zumeist besteht sie aus jungen Burschen und ihren Alte Herren sowie deren Frauen; hier und da sieht man auch mal eineN Nicht-KorporierteN. Immerhin bleiben ja auch etwa zwei Tische jährlich übrig, die nicht von Korporierten reserviert wurden. Auf dem Marktplatz treffen sich dann Rechtsradikale, Konservative, Liberale und Elitäre, um ganz unpolitisch miteinander Bier zu trinken. Doch unpolitisch, wie so gerne behauptet, kann der Marktfrühschoppen schon aufgrund seiner ProtagonistInnen nicht sein, die im Allgemeinen homophob, nationalistisch, sexistisch und rassistisch sind um an dieser Stelle einige treffende Attribute zu nennen. Die ausschließende Ideologie der Mehrzahl der FestbesucherInnen bedeutet, dass der Marktfrühschoppen per se ausschließenden Charakter besitzt.

Daher wird auch alljährlich gegen den Marktfrühschoppen protestiert.

Die Repression gegen die MarktfrühschoppengegnerInnen

Aufgrund dieser Proteste finden die Marktfrühschoppen der letzten Jahre nur noch unter starker Polizeipräsenz statt. Diese richtet ihr Augenmerk nicht auf das rechte Treiben auf dem Marktplatz, sondern auf diejenigen, die dagegen ihren Protest ausdrücken. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Übergriffen und Ingewahrsamnahmen durch die Polizei. Beim Marktfrühschoppen 2002 erfuhr die Repression einen neuen Höhepunkt: GegnerInnen, die sich auf dem Marktplatz befanden, um ihren Protest kundzutun und mittels Trillerpfeifen darauf aufmerksam machten, dass dieses Fest keineswegs harmlos ist, wurden ohne ersichtlichen Anlass von der Polizei in Gewahrsam genommen.

Einige Gäste hatten die Situation eskaliert, indem sie GegnerInnen schlugen. Kurz darauf hatte sich Marktfrühschoppenanmelder Oberstaatsanwalt Wölk eingemischt und Platzverweise gegen zwei der Geschlagenen und weitere Herumstehende erteilt. Nach der Aufnahme der Personalien durch die Polizei war es den DemonstantInnen jedoch nicht möglich die Platzverweise zu befolgen, da sie kurzerhand mit der Begründung »Anordnung von oben« in Gewahrsam genommen wurden, während die prügelnden Bürger fröhlich weiter ihrem Nationalismus frönen durften.

Das war jedoch nicht das Ende der Parteilichkeit. Einige Wochen später erhielten die Geschlagenen, die Strafanzeige gegen die Schläger gestellt hatten, von Oberstaatsanwalt Jörg die Information, dass ihre Verfahren wegen »mangelnden öffentlichen Interesses« eingestellt wurden. Wenige Tage danach wurden gegen sie und noch vier weitere GegnerInnen Strafbefehle über dreihundert Euro (wieder von OstA Jörg), wegen »gemeinschaftlichen Trillerns« »mit hierfür eigens mitgebrachten Trillerpfeifen«, was als Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Nötigung gewertet wurde, erlassen. Die Betroffenen entschlossen sich, Einspruch gegen die Verurteilung einzulegen, so dass es zu Verhandlungen kommen sollte. Der erste Termin wurde für den 15. Januar 2003 angesetzt. In der Zwischenzeit wurde von MarktfrühschoppengegnerInnen Öffentlichkeitsarbeit geleistet; Flugblätter wurden geschrieben und die Presse informiert, die sich, wahrscheinlich aufgrund der Einäugigkeit der Justiz, auch sehr interessiert zeigte. Der Richter, der den ersten Prozess führen sollte, bot an, das Verfahren wegen »geringer Schuld« gegen eine Auflage von 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit einzustellen. Ob Einsicht, der bald anstehende Geburtstag des Richters oder das öffentliche Interesse hierfür Grund waren, bleibt unklar. Trotz Unbehagens entschloss sich der Betroffene, dieses Angebot anzunehmen, da er nicht damit rechnete, dass die Marburger Justiz sich durch einen Freispruch eine Blöße geben würde. Zwei weiteren Angeklagten wurde inzwischen ebenfalls eine Einstellung angeboten. Was mit den drei weiteren Verfahren passiert, ist zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch unklar.

(lz)

sputnik