..., der Staat schiebt ab

Zu den drohenden Abschiebungen kurdischer Flüchtlinge

Vor circa drei Monaten wandten sich einige von Abschiebung bedrohte kurdische Familien an den Marburger Weltladen mit der Bitte um Unterstützung. Aus Teilen der Marburger Linken entwickelte sich daraufhin eine Gruppe, die einerseits direkte Betreuung in Form von Rechtsberatung und Behördengängen und andererseits Öffentlichkeitsarbeit organisiert.

Die meisten der betroffenen Menschen haben momentan den Status der Duldung, diese ist zeitlich begrenzt und verbunden mit verschiedenen diskriminierenden Auflagen, wie zum Beispiel der Residenzpflicht (d.h. ein Verbot des Verlassens des Landkreises, in dem sie wohnen). Die Duldung muss immer wieder neu beantragt werden, manchmal wird sie über sechs Monate oder auch nur eine Woche ausgestellt. Ob sie verlängert wird oder nicht, hängt davon ab, ob es Gründe gibt, die gegen eine Abschiebung sprechen. Meistens handelt es sich dabei einfach nur um das Fehlen von Papieren, es kann aber auch eine ärztliche Behandlung oder ein noch nicht abgeschlossenes Asylverfahren sein. Politische Verfolgung, Foltertraumata oder eine Bedrohungssituation durch staatliche Gewalt gegen Familienangehörige werden entgegen der öffentlichen Darstellung fast nie als Asylgrund anerkannt, so auch bei den betreuten Familien. Einige von ihnen bekommen inzwischen bereits keine Duldung mehr und sind deshalb akut von Abschiebung bedroht.

Offiziell wurde der Ausnahmezustand, der über die kurdischen Gebiete in der Türkei verhängt war, von der türkischen Regierung aufgehoben. Diese Maßnahme erfolgte überwiegend auf Druck der EU. Der Zusammenhang ist offensichtlich: Die verschiedenen EU-Staaten wollen einerseits die kurdischen Flüchtlinge abschieben und andererseits wirtschaftliche Beziehungen mit der Türkei absichern. Von ›Normalität‹ kann weiterhin nicht die Rede sein: 45 Prozent der Menschen in den kurdischen Gebieten leben unter der Armutsgrenze, die Infrastruktur ist zerschlagen, und Polizei und Militär sind allgegenwärtig.

Die Betreuung der Flüchtlinge gestaltet sich schwierig. Die rechtlichen Möglichkeiten, gegen die Abschiebungen vorzugehen, sind in vielen Fällen bereits ausgeschöpft: Auf die Ablehnung des ersten Asylantrages kann noch ein Folgeantrag gestellt werden. Wird dieser ebenfalls abgelehnt, gibt es fast keine Chance mehr auf Anerkennung. Als letzte Mittel bleiben den Flüchtlingen öffentlicher Druck, Kirchenasyl oder Heirat.

Vom 9. bis zum 15. Dezember hat die UnterstützerInnengruppe deshalb »regionale Aktionstage« gegen Abschiebung und die Festung Europa veranstaltet. Es fanden verschiedene Aktionen und Veranstaltungen zu diesem Thema statt, unter anderem eine willkürliche Grenzkontrolle an der Mensabrücke, eine symbolische Grenzzaundemontage und eine antirassistische Demonstration.

Aus dem linken Spektrum heraus öffentlichen Druck aufzubauen, gestaltet sich jedoch alles andere als einfach. Sind Menschen erst einmal konkret von Abschiebung bedroht, kann beispielsweise eine Demonstration an ihrer Situation nicht viel ändern, sondern stellt eher eine symbolische Solidaritätsbekundung dar. Der in Deutschland vorherrschende rassistische Grundkonsens und die Beurteilung von AsylbewerberInnen überwiegend nach wirtschaftlichen Verwertungskriterien ist kaum aufzubrechen. Dennoch gab es in der Vergangenheit mehrere Fälle, die Hoffnung gemacht haben und bei denen eine Abschiebung vorerst verhindert werden konnte: In einzelnen Situationen verhinderten beispielsweise Passagiere von Flugzeugen, in denen Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden sollten, dieses durch beharrliche Weigerung, sich anzuschnallen, hinzusetzen oder ihr Handy auszuschalten. Vereinzelt weigerten sich PilotInnen, mit Abschiebehäftlingen an Bord zu starten.

In Bremen versammelten sich im letzten Jahr über hundert Menschen vor dem Haus einer akut bedrohten Familie und schützten sie durch entschlossenes Auftreten vorerst vor dem Zugriff der Polizei.

Die UnterstützerInnen werden es jedoch nicht dabei belassen und hoffen, dass sich noch viel mehr Menschen engagieren. Auch in Zukunft wird es Aktionen und Veranstaltungen zu diesem Thema geben.

Wenn jetzt Euer Interesse geweckt ist, dieser Form staatlichen Rassismus etwas entgegen zu setzen, habt Ihr die Möglichkeit, unter der Nummer 06421-889851 Kontakt mit der Gruppe aufzunehmen.

Noch ein Veranstaltungshinweis: Am 1. Februar findet im Café Trauma eine Infoveranstaltung statt. Ein Mensch, der 2001 einige Stunden in dem Internierungslager des Frankfurter Flughafens verbracht hat, wird von seinen Erlebnissen dort berichten. Im Anschluss daran gibt es eine Soliparty mit DJ Le Pink.

(sr)

sputnik