Fight This Generation

oder wie Weddinger Hinterhofqueens im Kino ins Visier der neuen Mitte geraten

»Nach einer Woche Sozialpraktikum im Altenheim habe ich begriffen, dass es Wichtigeres gibt im Leben als Kino und Klamotten.« Die frohe Botschaft aus dem Munde einer adretten 17-jährigen Hilfs-Altenpflegerin, mit der die Volksfürsorge 1999 anlässlich des ›Internationalen Jahrs der Freiwilligen‹ aufwartete, wirft ein Schlaglicht auf die gesellschaftliche Situation junger Frauen im gegenwärtigen Kapitalismus. Dabei ist es nicht so, dass wir die alte Leier von der Oberflächlichkeit und der übermäßigen Selbstsucht der jeweils jüngeren Generation, von mangelnder Leistungsbereitschaft und Defiziten in Sachen Gemeinsinn, die in dem Werbespot mitschwingt, nicht schon kennen würden. Die traditionelle Jugendfeindschaft, der Neid der Alten, resultiert seit jeher aus der verspäteten Einsicht, das eigene Leben unwiderruflich verpfuscht zu haben. Die JugendhasserIn ist immer auch eine VerräterIn in eigener Sache. Was ihr keine Ruhe lässt, ist die schmerzhafte Erinnerung an (vermeintlich) glücklichere Tage und an alles, was er sich im Laufe eines Lebens aus dem Kopf schlagen musste. Dass alles ganz anders hätte ablaufen können…

Das Ende der Spaßgesellschaft

Es ist, als ob das Ressentiment gegen die Jugend unter den Bedingungen des Postfordismus besonders niederträchtige Formen annähme. Vielleicht liegt dies auch daran, dass das Lamento über die Verderbtheit der Jugend heute auch gerne von Leuten vorgetragen wird, die zu einem früheren Zeitpunkt in ihrem Leben tatsächlich einmal einem radikalen Traum vom schönen Leben und individuellem Glück anhingen. Die RevoluzzerInnen von einst sind heute arrivierte BürgerInnen, bereit, was ihnen in den Schoß gefallen ist, über die Runden zu retten und gegen Begehrlichkeiten der unteren Klassen und der jüngeren Generation verbissen zu verteidigen. Die Verjüngungskur, die sie dem Kapitalismus in ihren besseren Tagen dankenswerterweise einmal verpasst haben, steht heute mitsamt ihren emanzipatorischen Auswirkungen auf dem Prüfstand. Die Versprechen des Post-68-Freizeitkapitalismus: ›Kino und Klamotten‹ – um von sex, drugs und rock‘n‘roll einmal ganz zu schweigen – können den Jugendlichen, bestimmten Jugendlichen, besonders jungen Frauen aus den unteren Schichten, heute offenbar gar nicht früh genug ausgetrieben werden. Schließlich weiß jedeR: Alle müssen Opfer bringen. Da können die Mädels doch ruhig mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Ansprüche schon mal runterschrauben. Reguläre Jobs gibt es sowieso nicht mehr für alle. Und um die anderen Überflüssigen, die ihrerseits auch nichts zum Sozialprodukt beitragen (Kinder, Alte, Kranke), muss sich schließlich auch jemand kümmern… Für die neue Mitte – politisch, sozial, gender- und generationenmäßig verstanden – gibt es heute viele gute Gründe auf die erzieherische Wirkung von freiwilliger Sozialarbeit zu setzen.

Mit der Freiwilligkeit ist das allerdings so eine Sache. Immer wieder diskutiert man hierzulande, ob man nach einer eventuellen Abschaffung der Wehrpflicht nicht alle Jugendlichen erst mal in einem einjährigen sozialen Zwangsdienst zwischenparken sollte. Die neue Mitte weiß schon längst, dass man vor allem die Unterschichten hin und wieder zu ihrem Glück zwingen muss. Der Abbau des Sozialstaats, so die kommunitaristisch inspirierte Wunschvorstellung, die immer wieder durch sozialliberale Hirne spukt, soll durch staatlich verordnete Gemeinwesenarbeit abgefedert werden. Die autoritäre Aktivierungsphilosophie der neuen Sozialdemokratie zielt dabei vor allem auf junge Frauen, denen kaum mehr Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt eingeräumt werden. Am unteren Ende der Sozialstruktur entpuppt sich die Rede von ›gender mainstreaming‹ als billige Propagandalüge. Denn wer darauf spekuliert, die Arbeitskraft von Frauen als frei verfügbare Ressource in die Gemeinwesenarbeit einzuspannen, bewirkt einen geschlechtspolitischen Rollback und festigt die traditionelle geschlechtliche Arbeitsteilung und die subalterne gesellschaftliche Stellung der Frauen.

Welcome to the Jungle

Pünktlich zu Schröders Regierungserklärung »Egoismus überwinden, Gemeinsinn fördern: Unser Weg zu neuer Stärke« konnte man sich im Kino über die heilsame Wirkung, die soziale Arbeit auf gefährliche Jugendliche ausübt, informieren. Sylke Enders brachte mit ›Kroko‹ eine Art subproletarische Entwicklungsgeschichte in Zeiten des aktivierenden Sozialstaats auf die Leinwand. Der Film erzählt von der langsamen Wandlung einer Berliner Hinterhofgöre. Mit ihrer totalen Verweigerungshaltung ist sie der Albtraum aller Eltern und SozialarbeiterInnen. Julia, genannt Kroko, hat sich in ihrem Weddinger Soziotop bestens eingenischt. Sie weiß zwar noch nicht so genau, was sie im Leben will, auf keinen Fall jedoch Friseuse werden. Und auch sonst hat sie keinen Bock auf »Ausbildungskacke«. Stattdessen gibt die solariumsgebräunte Wasserstoffblondine auch gegenüber den Jungs in ihrer Clique den Ton an, hängt auf Hinterhöfen und in Discos ab und kommandiert Kaufhausstreifzüge, auf denen Alkohol für die nächste Party besorgt wird. Als sie in einem gestohlenen Auto einen Passanten anfährt, wird die Unnahbare zum Sozialdienst in einer Behinderten-WG verdonnert. Die ZuschauerIn darf nun gespannt sein, wann der undurchdringliche Panzer aus Schminke, Lippenstift und Wimperntusche, unter dem stahlblauen Augen vorstechen und sich schwere Augenlieder gelangweilt senken, wenigstens für einen Augenblick aufbricht.

Der Widerspenstigen Zähmung

Bei der Kritik kommt vor allem die Idee von Krokos Verurteilung zur Sozialarbeit gut an. Zu ver­lockend ist die Vorstellung, die als Störenfriedin der gesellschaftlichen Reproduktion und Feindin des ›normalen Lebens‹ ausgemachte Kleinkriminelle ließe sich auf diese Weise läutern und in ein nützliches Mitglied der Gemeinschaft verwandeln. Diese Strafe ist »das Schlimmste und das Beste, was ihr passieren kann.« (Die Zeit) »Eine größere Zumutung könnte es für Kroko, aber auch für die Bewohner kaum geben – und doch wird dieses Aufeinandertreffen für die harte Kiez-Königin zu Selbstfindung.« (Frankfurter Rundschau) Und das ›Kinofenster‹ findet: »Es wäre nur zu schön, wenn möglichst viele jugendliche Delinquent/innen durch die ihnen auferlegte Freizeitarbeit in einer sozialen Einrichtung einen Erkenntnis- und Reifungsprozess durchmachen könnten.«

Sylke Enders ist, was die Ersprießlichkeit von Zwangsarbeit angeht, etwas skeptischer. So verändert sich die Protagonistin zwar unter dem Eindruck des Umgangs mit den Behinderten. Die Entwicklung Krokos wird dabei aber unkitschig und ziemlich glaubwürdig erzählt. Kroko merkt, dass die »Spastis« zumindest in einer Hinsicht ziemlich cool sind: Sie wissen genau, was sie wollen und haben keinerlei Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse und Gefühle mitzuteilen. Die in der Story angelegte Tendenz, das Individuum mit seinen Wünschen einfach zu entsorgen und in ein stärker am Gemeinwohl orientiertes Modell umzutauschen, wird dadurch zumindest relativiert. Kroko schwört »Kino und Klamotten« nie wirklich ab. Stattdessen könnte man eher sagen, dass sie diese Glücksversprechen jetzt auch für andere einfordert. In einer Szene legt sie sich mit den Eltern eines WG-Bewohners an: Nur weil Michael behindert sei, wäre das noch lange kein Grund, ihn in Klamotten aus dem Container zu stecken.

Trotzdem mag sich am Schluss des Filmes keine echte Freude einstellen. Das liegt vor allem daran, dass man den Eindruck bekommt, dass Krokos Verweigerung bestimmter Aspekte traditioneller weiblicher Geschlechterrollen, die im ersten Teil des Films anklingt, weitestgehend zurückgenommen wird. Kroko ist z.B. nicht die Einzige, die sich von der Clique abgenabelt hat. Der dicke Rolle, ein Außenseiter innerhalb der Gruppe, hat über ein ›SOS-Programm‹ eine Art Ausbildungsplatz ergattert. Arbeitsplätze gibt es heute im Wedding also allerhöchstens noch für junge Männer. In der Schlussszene schmiegt sich Kroko an Rolle, der sie auf seinem Motorroller nach Hause fährt. Was die verwandelte Kroko dort wohl anstellen mag? Vielleicht geht sie ja ab sofort ihrer alleinerziehenden Mutter öfter mal im Haushalt zur Hand oder kümmert sich um die kleine Schwester.

Diese Zukunftsaussichten mögen verschreckte SpießerInnen beruhigen. Ein solches ›Happy End‹ hat aber definitiv mehr Reize für ein bildungsbürgerliches Kinopublikum als für Krokos Altersgenossinnen, auf die die pädagogischen Bemühungen letztlich zielen. In Marburg lief der Film deshalb im Steinweg und nicht im Cineplex. Es ist also immerhin erfreulich, dass die frohe Botschaft vom Ende der Spaßgesellschaft bei ihren Adressatinnen noch nicht so richtig angekommen ist. Für die Linke gilt es, an diesem Punkt anzusetzen.

(kh)

sputnik