Mehr Zeit zum Studieren

RCDS und CDU bei der Abschaffung von Stupa und AStA

Engagierte und (regierungs-) kritische ASten waren Konservativen schon immer zuwider. Vor kurzem hat der RCDS (Ring christlich-demokratischer Studenten) mal wieder die Initiative ergriffen, die Verfasste Studierendenschaft abzuschaffen.

Geschichte derVerfassten Studierendenschaft

Zum ersten Mal entstanden sind Studierendenvertretungen – zusammen mit ArbeiterInnen- und Soldatenräten – nach der Revolution von 1917. Im Nationalsozialismus wurde die Studierendenschaft erstmals als Körperschaft organisiert; die Studierenden nahmen größtenteils widerspruchslos ihren Platz im völkischen Deutschland ein. Nach 1945 wurden überall an bundesdeutschen Hochschulen – unterstützt durch Re-Education-Programme – den Studierendenschaften weitgehende Rechte der Selbstverwaltung eingeräumt. Die „Verfassten Studierendenschaften“ wurden Teilkörperschaften nach öffentlichem Recht innerhalb der Hochschulen. Konkret bedeutet dies Selbstverwaltung und Finanzautonomie über Beiträge, die von den Studierenden erhoben werden dürfen, sowie das Recht, sich eine eigene Satzung zu geben. In den allermeisten Bundesländern bestehen die Verfassten Studierendenschaften bis heute aus einem Studierendenparlament (Stupa) und dem von diesem gewählten AStA sowie Fachschaften auf Fachbereichsebene. Bis in die 60er Jahre waren die ASten von konservativen und national gesinnten Gruppen bzw. Personen geprägt und verhielten sich dementsprechend regierungskonform. Die Regierungs- und Gesellschaftskritik ab Ende der 60er Jahre entzündete sich vor allem auch an den Nazi-Biographien vieler Professoren und an undemokratischen Hochschulstrukturen, linke Hochschulgruppen eroberten damals zahlreiche ASten und bauten deren Einfluss aus. Ab Mitte der 70er Jahre hatten diverse Landesregierungen genug. Die Rechte der Verfassten Studierendenschaft wurden eingeschränkt, oder sie wurde, wie in Bayern und Baden-Württemberg, ganz abgeschafft. Seither hat sich an der rechtlichen Situation der Studierendenschaften wenig geändert, die Zusammensetzung der verbliebenen Stupas änderte sich in den letzten 30 Jahren jedoch gründlich: Die meisten ASten (so auch in Hessen und Marburg) werden von wenig kritischen Koalitionen der Mitte getragen.

Die Forderung nach größerem Einfluss von Studierenden auf hochschulpolitische Entscheidungen scheitert immer wieder an der im Grundgesetz (Artikel 5) festgeschriebenen Freiheit von Forschung und Lehre, die ProfessorInnen auf jeden Fall die Mehrheit in Hochschulgremien wie Senat und Fachbereichsrat sichern. Deshalb ist eine selbstverwaltete, von diesen Gremien losgelöste studentische Vertretung mit weit reichenden politischen Möglichkeiten, sich politisch zu äußern, weiterhin notwendig.

Abschaffung so schnell wie möglich

Mit seinen Plänen hat es der RCDS Hessen – wie erwartet – unnötig spannend gemacht. Am vorletzten Tag der Vorlesungszeit des vergangenen Wintersemesters stand der Entwurf zur Änderung des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) im Internet, zeitlich so gut abgestimmt, dass ihn wegen Semesterferien kein Stupa mehr diskutieren (In den Semesterferien dürfen keine Stupa-Sitzungen stattfinden.) und Hochschulgruppen nur einen Bruchteil der Studierenden erreichen konnten. An anderem Ort, im hessischen Landtag, ist jedoch keine Pause, und da sollte es nach Wunsch des RCDS mit der neuen absoluten Mehrheit ganz schnell gehen. Am liebsten schon gestern – „zu Beginn der Legislaturperiode“ – hätte der CDU-Nachwuchs seinen Entwurf in einem Gesetz verabschiedet.

Klappe, AStA!

Dieses Vorgehen passt zum Inhalt des Entwurfs und den Politikvorstellungen, die ihm zugrunde liegen: Politik soll demnach ausschließlich von Menschen gemacht werden, die für diesen Job qualifiziert sind, die von „oben“ (wahlweise „außen“) Sachverhalte begutachten, bewerten und Regelungen treffen, die angeblich „dem Wohl aller“ dienen (können). Einzelne oder gesellschaftliche Gruppen haben still zu sein. Ihre Partizipation hat sich auf den Wahlakt zu beschränken. In regelmäßigen Abständen geben sie ihre Stimme an Personen in verschiedenen Parlamenten ab und brauchen bzw. sollen deshalb nicht mehr für sich selbst sprechen. Die oft beklagte „Expertokratie“ ist also genau das, was der RCDS anstrebt. Diese besteht aus einem umfassenden Bereich (so genannte „Allgemeinpolitik“), von dem alle „betroffen sind“ (nicht etwa: partizipieren können) und vielen kleinen autonomen Teilbereichen – so unter anderen die Hochschulpolitik für die Mitglieder von Hochschulen. Wenn sich diese innerhalb des Bereichs Hochschule bewegen, haben sie zu „allgemeinpolitischen“ Themen nichts zu sagen. (Warum auch? Dafür gäbe es Wahlen zu Bundes- und Landtag.) Eine eigenständige Vertretung der Studierenden, eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit Finanzautonomie und „allgemeinpolitischem Mandat“, die nicht an Weisungen von oben (z.B. Landesregierung, Präsidium der Hochschule) gebunden ist, ist also ein Dorn im Auge. Denn es wird befürchtet, dass die fürs „Allgemeine“ zuständigen ExpertInnen an Macht verlören.

Dass Hochschulpolitik nur ein Ausschnitt aus einem gesellschaftlichen Ganzen ist – wenn auch ein spezieller –, dass sich gesellschaftliche (meinetwegen in RCDS-Sprache „allgemeinpolitische“) Verhältnisse in der Hochschule reproduzieren, dass Hochschulpolitik sinnvollerweise also gar nicht von Gesellschaft getrennt gedacht werden kann, geht selbstverständlich in keinen RCDS-Kopf. Hochschulpolitik kann und muss aus diesem Verständnis heraus beispielsweise den gesamtgesellschaftlich vorhandenen Rassismus in der ganz spezifischen Form an der Hochschule bekämpfen – mit den dort anwendbaren Mitteln. Hochschulpolitische Gruppen dürfen es jedoch nicht hierbei belassen, sondern müssen die oft vorhandenen gesellschaftlichen Dimensionen erkennen und eben auch in diesen aktiv werden, vor allem weil viele Ursachen nicht auf der Ebene der Hochschule zu finden sind.

RCDS ganz allein?

Der RCDS hat ein großes Problem: Aus seiner Sicht gibt es in Hessen nur linke Asten. Die Anzahl der Stimmen, die der RCDS bei StuPa-Wahlen für sich verbuchen konnte, ist in den letzten Jahren in Marburg zwar wieder gewachsen, aber er war seit Jahrzehnten an keinem AStA mehr beteiligt (zu Recht angesichts seiner gegenüber Frauen, Nicht-Deutschen und wenig Vermögenden diskriminierenden Politikvorschläge). Ein paar unqualifizierte Kommentare im Stupa – das war bisher der gesamte Einfluss des RCDS auf studentische Politik. Zusammen mit den oben erwähnten Politikvorstellungen ergeben sich aus dieser Lage die Interessen des RCDS für die Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft. In der historisch (hoffentlich) einzigartigen Konstellation im hessischen Landtag sieht er die passende Gelegenheit dazu. Denn für Bildung und Wissenschaft sind die Länder zuständig, die Verfasste Studierendenschaft ist im Hessischen Hochschulgesetz (HHG) festgeschrieben. Dass aus dem vom Bundestag geänderten Hochschulrahmengesetz (HRG) die Einrichtung von Verfassten Studierendenschaften – und übrigens auch ihr Recht auf ein „allgemeinpolitisches Mandat“ – herausgelesen werden kann, ist dem RCDS offensichtlich egal. Notfalls wird das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben, wie das HRG auszulegen ist und ob es zu weit in die Kompetenzen der Länder eingreift.

Die Pläne des RCDS

Der Entwurf des RCDS sieht vor, den Studierendenschaften die oben genannten Rechte (Finanzautonomie, Satzungsrecht, eigenständige juristische Person) zu entziehen, ihre Aufgaben und Kompetenzen eng zu begrenzen und sie als Unterausschuss dem Senat anzugliedern. Das neue Gremium soll „Studentenkonferenz“ (Die durchgängig männlichen Formulierungen im Entwurf sprechen für sich.) heißen und aus 33 Mitgliedern bestehen, wovon 11 von den Fachschaftsräten (FSR) gemäß dem Verhältnis der Größe der Fachbereiche entsendet würden und 22 von den zur Senatswahl angetretenen Listen (nach dem Verhältnis der Stimmen bei 5%-Hürde) kämen. Damit will der RCDS erreichen, dass Fachschaftsarbeit und fachbereichsübergreifende studentische Politik stärker verzahnt werden. (Da Fachschaftsarbeit oft reine Dienstleistung ist, ließe sich eine weitere Entpolitisierung der Hochschulpolitik absehen). Die „Studentenkonferenz“ (Stuko) wählt einen „Studentenvorstand“ (Stuvo), der nur auf den ersten Blick dem bisherigen AStA-Vorstand gleicht. Ihm können wie bisher Referate beigeordnet werden. Jedoch muss er vor jeder Vertretung der Studierenden „nach außen“ einen Beschluss der Stuko abwarten, den der Senat auf Wunsch des Präsidenten innerhalb von vier Wochen aufheben kann.

Am meisten könnten Präsident und Senat über die Finanzen der Studierendenschaft in die Arbeit der Stuko eingreifen. So würden die Beiträge für die Studierendenschaft vom Senat beschlossen, und das Präsidium müsste dem Haushalt zustimmen. Erstaunlich ist auch, dass der Senat der Stuko „weitere Aufgaben“ übertragen könnte. Es ist ein wenig aus der Luft gegriffen, aber dennoch denkbar, dass der Senat die Stuko mit der Erhebung von Studiengebühren beauftragt oder die Fachschaften über die Stuko mit der Anwesenheitskontrolle in Lehrveranstaltungen. Ach ja, da war doch noch etwas. Erstmals soll es ausdrücklich in einem Gesetz stehen: „Eine allgemeinpolitische Betätigung der Studentenvertretung ist nicht zulässig.“

Die Worthülsen, die der RCDS zur Werbung für den Entwurf verwendet, sind nichtssagend, Halbwahrheiten oder schlicht Lügen: „Mehr Transparenz, Mitbestimmung und Demokratie an den Hochschulen und innerhalb der Studentenvertretung“. Die Transparenz besteht nur im möglichen Veto des Präsidenten, die Einbindung der Fachschaften in deutlich engere Handlungsspielräume kann nicht als Plus an Demokratie bezeichnet werden, mehr Mitbestimmung erhält nur der Senat in die „Angelegenheiten“ (hieß früher einmal Politik) der Studierendenvertretung.

Die Argumente, die vom RCDS angeführt werden, sind äußerst dünn: Die Doppelvertretung der Studierenden in Hochschulgremien (Fachbereichsrat, Senat) und Gremien der Studierendenschaft (FSR, Stupa) wird beklagt, die angeblich so komplex sei, dass nur ein Viertel der Studierenden wählen geht. Eine einfacher aufgebaute Interessenvertretung mit viel weniger Einfluss wird jedoch sicher von noch weniger Leuten gewählt, denn dann würde tatsächlich unklar sein, wofür die Kreuzchen gut sein sollen. Ein weiteres Problem der bisherigen Struktur wird darin gesehen, dass die gewählten „ExpertInnen“ in Stupa/Senat den Kontakt zur „Basis“ (Fach­schaften/Studierende) verlören und Studierende aus wenigen Fachbereichen die Gremien besetzten. Eine stärkere Beteiligung von Studierenden in Gremien und an den Wahlurnen ist angesichts des geplanten Bedeutungsverlustes der studentischen Vertretungen und der immer größeren Belastungen der Studierenden durch Verschärfung von Studienordnungen und unsozialer CDU-Bildungs- und Sozialpolitik (Studiengebühren!) nicht zu erwarten.

Hochschulpolitische Volksfront?

Nach Bekanntwerden der Pläne des RCDS haben sich AStA und Teile der Fachschaftenkonferenz die Rettung der Verfassten Studierendenschaft zum Ziel gesetzt. Wovor hat die AStA-Koalition der Philipps-Universität eigentlich Angst? Meint sie ernsthaft, dass Uni-Präsidium und Senat ein Problem mit der Ersti-Party haben, die ganz im Sinne der vom Präsidenten ausgegebenen Corporate Identity den Gemeinschaftsgeist an der Uni stärkt? Eine Firmenkontaktmesse, die auf die Uni Marburg ein gutes Licht wirft, weil diese auf die Arbeitswelt vorbereitet, wird sicher auch begrüßt. Und gegen einige wenige Sozialleistungen des AStA hat in der Uni-Leitung auch niemand etwas einzuwenden, dienen diese doch schnelleren und erfolgreicheren Abschlüssen. Ein Service-AStA mit Aushängeschild Semesterticket ist ein Standortvorteil mehr im Wettbewerb der Hochschulen, für den die Uni-Leitung keinen Cent ausgeben muss.

An den Projekten, die bei der Abwicklung von Stupa und AStA gleich mit verschwinden würden, hat die Koalition sowieso kein großes Interesse: z.B. Autonome Referate und Feministisches Archiv. Die Politikfelder und -ziele, bei denen Präsident und Senat einschreiten würden, sind den AStA-tragenden Gruppen ohnehin größtenteils egal: z.B. Gleichstellung von Frauen durch eigenständige feministische Politik, eine politisch motivierte Wissenschaftskritik, die nach Nutzen, Sinn und Zweck der Wissenschaften und Interessen der WissenschaftlerInnen fragt, die Bekämpfung von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus unter den Mitgliedern der Universität, insbesondere in Verbindungen.

Dass einige FachschafterInnen und der AStA sich dennoch für die Erhaltung der Verfassten Studierendenschaft einsetzen (wohl vor allem wegen der Finanzgewalt des Stupas über ca. 350.000 Euro), ist natürlich zu begrüßen. Wobei das Vorgehen der Koalition in der Stupa-Sitzung Mitte Februar ein wenig an den letzten deutschen Kaiser erinnert: Zuerst wurde in einer flammenden Rede der bedingungslose Zusammenhalt aller gegen den RCDS eingefordert (Ich kenne keine politischen Gruppen mehr...) und später das dafür nötige Kleingeld (5000 Euro Kriegskredite) genehmigt.

Die hessische CDU ist sich übrigens noch nicht einig, ob sie den Wunsch ihres Nachwuchses erfüllen soll: Für die zukünftige Konkurrenz der Hochschulen um Studierende würden die hessischen Hochschulen einen Nachteil mehr besitzen. Eine mögliche positive Auswirkung durch die Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft soll hier nicht vergessen werden: Da Politik an der Hochschule mangels Macht und Außenwirkung wenig zur persönlichen Profilierung beitrüge, würden wir in Zukunft von PolitkarrieristInnen etwa des RCDS verschont bleiben.

(tdk)

Gesetzestexte und RCDS-Entwurf im Wortlaut

Achtung: Die Links verweisen auf die zum Stand der Veröffentlichung aktuellen Gesetzestexte!

sputnik