Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

Imperialistisches Kräftemessen vor und nach dem Irakkrieg

Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war der Krieg, den die USA und Großbritannien gegen den Irak geführt hatten, eigentlich beendet. Drei Wochen wurden benötigt, um den Widerstand der irakischen Armee zu brechen, die Regierung und ihr Umfeld zu töten oder zu vertreiben und die Infrastruktur zu zerstören. Wie viele Menschen im Zuge dieses Krieges gestorben sind, wird man wohl nicht erfahren. Doch auch außerhalb des Iraks zeigt dieser Krieg Folgen.

Interimperialistischer Streit

Der Irakkrieg hat einige Bewegung in die interimperialistischen Kräfteverhältnisse gebracht: Die USA haben neue Begründungen dafür gefunden, sich weiter aus inter- und supranationalen Zusammenschlüssen wie UNO und NATO zurückzuziehen; auch in Zukunft werden sie dort, wo es ihnen zweckmäßig erscheint, notfalls ohne Unterstützung anderer Staaten militärisch aktiv werden. Frankreich und Deutschland sehen die „Notwendigkeit“, europäische Strukturen weiter auszubauen und zu stärken, v.a. durch eine gemeinsame Außenpolitik und den Aufbau einer EU-Armee. Nicht so sehr, um ein pazifistisches Gegengewicht zu den USA zu bilden (wie es anscheinend einigen der FriedensdemonstrantInnen dieser Tage vorschwebt), sondern um ebenso souverän wie die USA Interessen mit Gewalt durchsetzen zu können. Auch Russland, das im Zuge der zunehmenden Konflikte zwischen Deutschland und den USA immer mehr zum bevorzugten Gesprächspartner Deutschlands geworden ist, hat ein starkes Interesse daran, dem Unilateralismus der USA etwas entgegenzusetzen. In diesem Kontext ist auch die Kriegsgegnerschaft der genannten Staaten zu sehen: Alle drei wollen sich als eigenständige Machtzentren gegenüber den USA behaupten. Außerdem haben v.a. Frankreich und Russland auch große finanzielle Einbußen zu befürchten. Neben China waren es nämlich vor allem sie (bzw. staatliche und private Konzerne aus diesen Staaten), die Abkommen über die Erschließung und Ausbeutung von Ölvorkommen im Irak getroffen haben. So schalten sie jetzt auch AnwältInnen ein, um einer wahrscheinlichen Aufhebung dieser Verträge durch eine neue irakische Regierung bzw. durch das US-amerikanische „Protektorat“ im Irak vorzubeugen. Die USA und Großbritannien haben deutlich gemacht, dass sie bereit sind, militärische Mittel gegen unliebsame Staaten einzusetzen, dass auch Proteste sie von diesem Kurs nicht abbringen und dass ihre militärische Überlegenheit gegenüber den meisten anderen Staaten nach wie vor groß ist. Die „kriegsgegnerischen“ Staaten dagegen konnten einen Krieg, den sie angeblich nicht wollten, nicht verhindern und müssen nun um ihre Pfründe aus der Zusammenarbeit mit dem vormaligen irakischen Regime fürchten. Zumindest kurzfristig ist der Kriegsausgang ein Erfolg und eine Stärkung für die USA (und Großbritannien) im imperialistischen Wettbewerb.

Bereits während des Feldzugs gegen den Irak wurden in den USA Drohungen gegen Syrien und Iran ausgesprochen, die sich der Unterstützung „terroristischer“ Gruppen oder des irakischen Regimes schuldig gemacht hätten. Beide Staaten wiesen die Anschuldigungen zurück. Wenige Wochen später wurde Syrien von den USA für seine „Kooperation“ gelobt, u.a. nachdem einige Mitglieder der irakischen Führungsriege an der syrischen Grenze festgenommen werden konnten. Ebenfalls in den letzten Wochen wurden durch gezielte Indiskretionen Überlegungen bekannt, die nicht opportunen Atomanlagen in Nordkorea „präventiv“ zu bombadieren. Die Botschaft ist klar: Staaten und Regierungen, die nicht mit den USA kooperieren (d.h. deren Forderungen erfüllen), haben sich in Zukunft noch wärmer anzuziehen.

Europa gegen Krieg?

Vom ersten Tag des Irakkriegs an lautete die einhellige Hoffnung der „kriegsgegnerischen“ Staaten Frankreich, Russland und Deutschland, dass der Krieg „möglichst schnell vorbei“ sein würde; dass damit kein Waffenstillstand, sondern die vollkommene Besetzung des Irak gemeint war, war ebenso klar. Der bei absehbarem Kriegsende einsetzende Ruf nach einer führenden Rolle der UNO beim „Wiederaufbau“ des Irak sanktioniert (genauso wie zuvor die Überflugsrechte, militärische Hilfe in Aufklärungsflugzeugen und in Panzern in Kuwait) den Krieg, den man vorher angeblich noch abgelehnt hat. Andererseits scheint es der letzte Versuch zu sein, nun wenigstens an der Beute beteiligt zu werden, auch wenn man nicht mit auf die Jagd gezogen ist.

Nie wieder Krieg?

Dass angesichts dieses Vorgehens die deutsche Friedensbewegung von ihrer Begeisterung für die deutsche Regierung abrückt, ist unwahrscheinlich. Beim nächsten Krieg, an dem sich Deutschland beteiligt, werden die Hunderttausenden, die jetzt auf die Straßen gezogen sind, in ihrer Mehrzahl sicherlich zu Hause bleiben, genauso wie sie beim Überfall auf Jugoslawien nur zu gerne das Geschwätz von Menschenrechten, KZs im Kosovo und ähnlicher Propaganda geglaubt haben. Und doch: Diese Friedensbewegung als komplett reaktionär abzulehnen, geht an der Realität vorbei. Viele der sich beteiligenden Gruppen sind ziemlich unappetitlich: SPD- und Grünen-Fanclubs, gelegentlich ein paar Nazis (manchmal sogar als offizielle Redner zugelassen), „Nie-wieder-Dresden“-Rentner­Innen, christliche und islamistische Sekten beispielsweise. Vor allem auf den zahlenmäßig sehr starken Demos von SchülerInnen trifft man jedoch auch auf Menschen, die aus einer angeblich „unpolitischen“ Betroffenheit heraus auf die Straße gehen und sich gegen das kriegsbedingte Morden wenden. Relativ losgelöst von Fragen nach Kriegsursachen und realen Interessen greifen sie die Skrupellosigkeit an, mit der einzelne Regierungen zig Tausende zum Tod verurteilen.

Mit diesen Menschen kann man jedoch gelegentlich auch weitergehend reden. In einem Dialog mit Menschen, die sich über ihre Kriegsgegnerschaft politisieren, wäre vor allem folgendes zu bedenken: Das Gegenteil von Krieg ist nicht der „Frieden“, den die meisten aktuellen Kriegsgegner­Innen als kapitalistischen Normalzustand bewahren wollen. Der Frieden im Irak der letzten Jahrzehnte hat Millionen von Opfern gefordert, sowohl durch das Embargo und gelegentliche militärische Angriffe wie durch irakische Folter- und Mordpolitik gegen innere Opposition, gegen KurdInnen und andere Bevölkerungsgruppen. Frieden zwischen den USA und Irak herrschte auch im durch imperialistische Kräfte angeheizten jahrelangen Golfkrieg zwischen Iran und Irak.

„Frieden“ als Kriegspause

In allen Gegenden der Welt herrscht Frieden ebenfalls in den Kriegspausen, in denen weiter nach innen und außen gerüstet wird. Die militärische Durchsetzung von Interessen und die Repression zur Unterdrückung innerer Widerstände sind Mittel, auf die kein Nationalstaat verzichtet. Die „Anti-Terror“-Maßnahmen nahezu aller Staaten nach den symbolträchtigen Anschlägen vom 11. September 2001 haben weltweit einen Zuwachs an polizeilicher Willkür, Unterdrückung kritischer Meinungen, Folter und anderer repressiver Methoden gebracht. Liberale Freiheiten, die die kapitalistischen Staaten ihren BürgerInnen in guten Zeiten gewähren, wurden zurückgenommen. Wer sich dieser Entwicklung widersetzt, macht sich der Unterstützung terroristischer Aktivitäten verdächtig. Die Halluzination einer inneren oder äußeren Bedrohung (oder die Übertreibung einer tatsächlich vorhandenen Gefahr) sind klassische Mittel zur Begründung von Unterdrückung und Krieg. Die Interessen von Eliten oder auch großen Bevölkerungsteilen werden nur selten explizit benannt.

Kein Blut für Öl?

Im Fall des Irakkriegs allerdings war in den deutschen und internationalen Medien wie auch auf den Friedensdemos häufig die Rede von den schnöden materiellen Interessen der US-Regierung. Ganz normale Friedensbewegte knüpfen an die ursprünglich aus der völkischen Ecke stammende Parole „Kein Blut für Öl“ an, die hessische Nazis auf das in ihren Augen wahrscheinlich lustige Wortspiel „Kein Blut für IsraÖl“ brachte. Nun kann kein Mensch ernsthaft die Verbindungen der Bush-Regierung zur Ölindustrie leugnen oder bezweifeln, dass Kriege aus materiellen Gründen heraus geführt werden. Doch nur, wenn die USA einen Krieg ohne Deutschland führen, fällt es den Leuten auf. Hier gilt es aufklärerisch tätig zu werden. Natürlich wird man auf eingefleischte NationalistInnen und unverbesserlich Naive treffen, die glauben, es gebe einen gravierenden Unterschied zwischen Bush/Cheney, die Krieg angeblich nur für Öl führen, und Schröder/Fischer, die Krieg angeblich nur für Menschenrechte führen, und auf einer durchschnittlichen Friedensdemo werden diese in der Mehrheit sein. Doch vielleicht erreicht man wenigstens ein paar Menschen, die bei diesem oder beim nächsten Krieg genauer hinsehen.

Mit am dreistesten agierte wieder einmal die deutsche Presse, die sich in Krisensituationen immer gerne und vollständig hinter die deutsche Regierung stellt. Vor und während der ersten Wochen des Irakkriegs erging sie sich in Antikriegsphrasen, enthüllte reißerisch Bushs schnöde Interessen (s.o.) und stärkte Gerhard Schröder den Rücken. Mit heranziehendem schnellen Sieg der USA und Großbritanniens wechselte sie über Nacht in ganz neue Argumentationen: Zwar habe man keine besonders gefährlichen Waffen gefunden (der angebliche Grund für den Krieg), allerdings sei doch das „irakische Volk“ nun „befreit“. Irakische Oppositionelle, für die sich jahrelang niemand interessierte, die massiv abgeschoben und an den Folterstaat Irak ausgeliefert wurden (auch jetzt drängte Deutschland darauf, dass keine Flüchtlinge die Region verlassen dürften), erhielten nun Gelegenheit, die Friedensbewegung (und nur diese) zu beschimpfen. Unkritisch wurden Propaganda-Inszenierungen wie die Demontage der Saddam-Hussein-Statue in Bagdad übernommen.

Ein islamistischer Irak von US-Gnaden?

Welche Richtung der „befreite“ Irak nehmen könnte, zeigt sich bereits jetzt: Islamistische Gruppierungen führen Massenkundgebungen durch, agitieren vorsichtig gegen die US-Besatzung und fordern die „Rückkehr“ zu islamischen Werten. Eine Entwicklung ähnlich der in Afghanistan (wo inzwischen wieder das islamische Recht gilt) ist durchaus wahrscheinlich angesichts der Tatsache, dass säkulare, republikanische und linke Gruppierungen wie z.B. die KP Iraks selbstverständlich nicht von den USA auserkoren wurden, den Neubeginn im Irak zu leiten, sondern auf islamistische Gruppen, regionale „Clans“ und ausgewählte Exil-IrakerInnen gesetzt wird.

Die Linke in Deutschland sollte sich weder von der „Freiheits“-Propaganda der amerikanischen noch der „Friedens“-Propaganda der deutschen Regierung blenden lassen. Ihre Solidarität sollte den Opfern der imperialistischen Politik gelten. Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Deutschen Imperialismus bekämpfen!

(de)

sputnik