"Das alles hat mit Friedenspolitik nichts zu tun."

Interview mit Christian Axnick (DFG/VK)

sputnik sprach mit Christian Axnick von der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen über die Hintergründe des Irak-Krieges, die Interessen Frankreichs und Deutschlands und das Verhältnis der Friedensbewegung zur EU-Militärpolitik. Die DFG/VK – die älteste pazifistische Organisation in Deutschland – ist in Marburg Mitglied im Bündnis „Nein zum Krieg“ und beteiligt sich unter anderem an der Organisation von Anti-Kriegs-Demonstrationen. Das Gespräch wurde fünf Tage nach Beginn des Krieges im Anschluss an einen Redebeitrag Christian Axnicks auf der Marburger Montagsdemonstration geführt.

sputnik: Seit einigen Tagen wird der Irak von britischen und US-amerikanischen SoldatInnen angegriffen. Während die KriegsbefürworterInnen ihre Haltung vor allem mit einer notwendigen Entwaffnung des Iraks von Massenvernichtungswaffen begründen, erfreut sich unter KriegsgegnerInnen die Parole „Kein Blut für Öl“ großer Beliebtheit. Was sind die Hintergründe des Irak-Kriegs?

Christian Axnick: Öl dürfte schon eine Rolle spielen, aber ich glaube nicht, dass es um den direkten Zugriff auf Öl geht – der wäre auch so gewährleistet gewesen – sondern eher um die langfristige Kontrolle des Ölgeschäfts durch langfristige Dominanz im Nahen Osten. Indirekt richtet sich der Krieg vermutlich auch gegen Saudi-Arabien, ein Land, das bisher die Ölpreise im Interesse der USA stabil gehalten hat. Und in diesem Bündnis USA–Saudi-Arabien gibt es mindestens seit dem 11. September 2001 einige Verwerfungen. Der Irak-Krieg könnte auch als erster Test auf ein neues Sicherheitskonzept interpretiert werden. Die USA haben ihre Strategie soweit formuliert, dass sie jetzt explizit für sich das Recht auf einen Präventivkrieg in Anspruch nehmen, wenn sie sich bedroht fühlen. Ein weiterer Aspekt ist wahrscheinlich auch der Versuch der Europäischen Union als der potenziellen Konkurrentin zu zeigen, wer hier tatsächlich militärisch handlungsfähig ist, und den Bestrebungen, eine eigenständige europäische militärische Macht aufzubauen, schon im Ansatz etwas entgegenzusetzen. Auch dieser Interessengegensatz dürfte eine Rolle spielen.

sputnik: Wie ist in diesem Zusammenhang die „Friedensposition“ der deutschen und der französischen Regierung einzuschätzen?

Christian Axnick: Es ist keinesfalls so, dass Frankreich und Deutschland nun auf einmal das historisch einmalige Beispiel pazifistischer Staaten aufs Tapet bringen würden. Sie versuchen, sich nicht allzuweit an einem Krieg zu beteiligen, der ihren Interessen widerspricht. Zumindest was die Bundesrepublik Deutschland angeht, kann man sicher sagen, dass keine konkreten Schritte unternommen worden sind, um diesen Krieg zu behindern. Sie hätte die Transporte von Nachschub- und Kriegsmaterial über ihren Luftraum und ihr Territorium verhindern können. Das hat sie nicht getan. Es geht der Bundesregierung darum, sich öffentlich als Kriegsgegner zu profilieren und sowohl gegenüber der eigenen Bevölkerung als auch in der Weltöffentlichkeit das Friedensimage zu besetzen. Das scheint ihr leider auch zu gelingen. Sie hat damit nicht gesagt, dass sie Krieg als Mittel der Politik ausschließt. Sie hat sich in der letzten Zeit an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen beteiligt. Deutschland und Frankreich versuchen, den europäischen Machtpfeiler zu stärken und sich von den Amerikanern nicht allzu sehr in ihre Pläne, eine europäische Militärmacht aufzubauen, reinschießen zu lassen. Dazu gehört, dass man sich nicht aus allem rausziehen kann, was die USA machen, aber durchaus seinen Dissens zu Protokoll gibt und sein eigenes Süppchen kocht. Das alles hat mit Friedenspolitik nichts zu tun.

sputnik: Schon im Vorfeld des Krieges gegen den Irak ist es weltweit zu Protesten gekommen. Auch in Deutschland ist die Friedensbewegung zu einer Massenbewegung angewachsen. Es gehen heute viel mehr Leute auf die Straße als beispielsweise 1999, als die derzeitige Bundesregierung maßgeblich am Angriffskrieg gegen Jugoslawien beteiligt war. Trotz des absoluten und holistischen Anspruchs der Proteste – in Marburg wurde im Namen aller Opfer von Terror und Gewalt demonstriert – springt der selektive und spezielle Charakter dieses Phänomens ins Auge.

Christian Axnick: Kein Mensch weiß genau, was die „Friedensbewegung“ ist. Dass diese Bewegung – nennen wir sie der Einfachheit halber mal Friedensbewegung – so massenhaft angewachsen ist und das nicht nur in Deutschland, sondern durchaus weltweit, hat sicherlich damit zu tun, dass hier in ziemlich beeindruckender Offenheit auf einen Krieg hingearbeitet worden ist. Das hat sich auch an dem Ultimatum gezeigt, als Bush sagte: „Wenn der Schurke nicht binnen 48 Stunden das Land verlässt, wenden wir Gewalt an und marschieren ein. Wenn er das Land verlässt, marschieren wir auch ein.“ Diese rücksichtslose Dreistigkeit ist neu, und das, denke ich, hat viele Leute schockiert. Dass es in Deutschland viele Leute leichter finden, auf die Straße zu gehen, wenn sie sich einreden können, die Rückendeckung der eigenen Regierung zu haben oder gegen Regierungen zu de­monstrie­ren, die nicht im eigenen Land sind, statt gegen die, die sie möglicherweise vor kurzem selber noch gewählt haben, dürfte ein Motiv sein. Damit hängt zusammen, dass dann oft Forderungen erhoben werden, die sehr allgemein und sehr verwaschen sind. Deshalb ist es ja gerade nötig, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Rolle der Bundesrepublik Deutschland hinzuweisen und sie nicht aus der Kritik auszunehmen. Und das ist zumindest da, wo man es mit einigen Inhalten und einiger Hartnäckigkeit versucht, auch möglich.

sputnik: Es werden aber auf den Demonstrationen auch immer wieder Stimmen laut, die angesichts einer US-dominierten Weltordnung, in der ein permanenter Kriegszustand zu erwarten sei, die Stärkung eines „Gegengewichts“ Europa, das als zivile „Friedensmacht“ vorgestellt wird, fordern. Könnte sich die so genannte Friedensbewegung nicht als Katalysator einer Militarisierung der EU erweisen? Einer EU, die zunehmend eine eigenständige imperialistische Politik verfolgt und damit bei der eigenen Bevölkerung auf breite Zustimmung stößt?

Christian Axnick: Ich finde es schwierig zu sagen, dass die TeilnehmerInnen von Friedensdemonstrationen der EU-Militärpolitik ihren Beifall zollen. Das ist zunächst eine Behauptung, die sich – zumindest wenn sie in dieser Absolutheit formuliert wird – nur schwer belegen lässt. Selbst wenn es so wäre, vermute ich, dass eine ganze Menge von denen über die konkreten Pläne der Militarisierung der Europäischen Union und der Militärpolitik, die Deutschland da betreibt, überhaupt nicht informiert sind. Sie haben einfach das Gefühl: Irgendwie ist Deutschland diesmal halbwegs auf der richtigen Seite, gegen Krieg, kann ja nicht verkehrt sein. Eine größere politische Auseinandersetzung steckt hier überhaupt nicht dahinter. Das ist nicht sonderlich verwunderlich, denn es findet ja insgesamt in Deutschland nicht so das pralle politische Leben statt. Diskussionen und Positionen fallen ja auch nicht vom Himmel. Dafür muss man etwas tun. Es fragt sich, wer dazu bereit und in der Lage ist, dort weitergehende Inhalte hineinzutragen oder die Leute mit einer umfassenderen Kritik zu konfrontieren. Wenn man darüber informiert, dass die EU eine eigenständige Streitmacht aufbaut, eine schnelle Eingreiftruppe, für die Deutschland mit 18.000 SoldatInnen das größte Kontingent stellen will, dann kann man da auch in eine Diskussion kommen. Du hast natürlich schon recht, es ist dann auch nötig, diese Diskussion zu führen. Denn wenn man das nicht tut, lässt man die Leute in dem Gefühl: Irgendwie ist Schröder auch gegen Krieg und das ist schon ganz okay. Das sollte man auf jeden Fall vermeiden.

Die DFG/VK Marburg betreibt eine Homepage unter http://www.lahn.net/dfgvk.

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