Linke Fachschaft 03

»Wir können doch über alles reden ...«

Anmerkungen zu Runden Tischen am FB 03
 

Vor einigen Semestern wurden die Tische am Fachbereich auf einmal rund. Das Institut für Soziologie zeigte, wo es lang geht. Runde Tische, die dort im Wintersemester 1993/94 eingeführt wurden, gelten mittlerweile als offizieller Teil der Institutsverfassung. Nach Vorstellung des Soziologie-Instituts sollen sie künftig „die fortgeltenden wie absterbenden Regularien der Gruppenuniversität" ersetzen, also die etablierten Gremien, in denen Studierende vertreten sind. Während man in der Soziologie vor allem die Institutionalisierung Runder Tische anstrebt, macht man sich am Politik-Institut Gedanken, wie die Studierenden dafür mobilisiert werden können. Anders als andere Studierende am Fachbereich werden  Politik-Studierende des öfteren gebeten, sich am Runden Tisch des Instituts konstruktiv einzubringen.

Im Uni-Streik trafen sich Studierende und einige Lehrende an besagtem Möbelstück, um die Auswirkungen der Unterfinanzierung des Instituts durch eigenes Engagement abzumildern. Diskutiert wurde auf Basis von Ergebnissen des Studienbarometers und Befragungen. Gemeinsam war man sich anscheinend schnell darüber einig, wie erfolgversprechende Konzepte zur Linderung der katastrophalen Situation am Fachbereich aussehen könnten: Studierende sollen bitte künftig pünktlich kommen und Lehrende im Gegenzug ihre Sprechstunden statt wie bisher Dienstags und Donnerstags bald auch an anderen Tagen anbieten. Außerdem versprechen alle, die Studienordnung nochmal zu lesen. Tja, jedeR muß halt Opfer bringen. Auch wenn böse Zungen ständig von Unterfinanzierung und Umstrukturierung nölen - am Runden Tisch wird den Realitäten ins Auge gesehen. Darum geben die amtierenden und zukünftigen PolitologInnen bei der Internet-Präsentation der Resultate der Runden Tische zwar kein Wort zur Politik des Ministeriums zum besten, dafür aber seitenweise so hochpolitische Dinge wie etwa Vorschläge zu besseren Bestuhlung der Räume. Kein Wunder also, daß in solchen Aussagen die Probleme der Institute nur noch im Rahmen einer Bundes- und Landespolitik gesehen werden, die als unabänderlich erscheint. Konfliktpotential mit dem Ministerium existiert in derartigen Diskussionen nicht mehr.

Kritik an „Runden Tischen" setzt aber nicht erst an den durchwachsenen Ergebnissen dieser gar nicht so neuen Form integrativer Interessenvermittlung an: Vielmehr geht es uns im folgenden um die impliziten Gemeinsamkeiten und Vereinbarungen, die die Teilnehmenden am Runden Tisch erst einmal herstellen müssen, wollen sie - wie allenthalben beteuert wird - „sachlich" und „konstruktiv" an der Problemlösung arbeiten. Runde Tische sind, wie es auf der Homepage des Soziologie-Instituts heißt, eine direkte Form der Konsensbildung. Und genau damit haben wir ein Problem.

Es war einmal eine Opposition - der lange kurze Weg vom Bauzaun an die Runden Tische

Der Runde Tisch als Modell einer „gleichberechtigten" Interessenvermittlung ist keine Erfindung der Marburger Sozialwissenschaften. Runde Tische schießen unter der Politik der Neuen Mitte wie Pilze aus den Boden. Dabei ist das Bündnis für Arbeit wohl der bekannteste Runde Tisch in der BRD, der Vorbildern aus den Niederlanden und Dänemark nachempfunden wurde. Anders als in GB und den USA versucht der „Dritte Weg" der Sozialdemokratie in der BRD eine Deregulierung der Ökonomie und einen Abbau des Sozialstaates durch korporatistische Strukturen konfliktärmer durchzusetzen. Schließlich legitimieren die beteiligten Gruppen die Beschlüsse dieser Strukturen innerhalb ihrer Mitgliedsschaft und wie z. B. die Gewerkschaften auch in einem Umfeld darüber hinaus. Erleichtert wird die Etablierung solcher Institutionen in der BRD besonders durch ihr Erscheinungsbild als „nationaler Rettungsversuch", was einen Druck auf die betroffenen Gruppen ausübt, um nicht als „egoistisch" gegenüber der Nation zu erscheinen. Daher haben solche Strukturen auch eine völkische Grundlage.

Im Prozeß der „Lokalen Agenda 21" plazieren sich jene ehemals systemoppositionellen Teile der Neuen Sozialen Bewegungen an Runden Tischen, die vor einigen Jahren noch jegliche gemeinsame Interessenlage mit denen, die ihnen nun gegenüber sitzen, verneint hätten. Auf einmal gibt es die gemeinsame Sache - „Nachhaltigkeit" -, an der alle eifrig und kooperativ mitbasteln. Kritik der neuen Sozialen Bewegungen wird aller herrschaftskritischen Momente beraubt und endet nicht selten in willkommener, weil effektivitätssteigernder Politikberatung. Die EXPO machte sichtbar, wohin dieses konsensstiftende Motiv des großen gemeinsamen Etwas führen kann. Vermeintlich kritische Gruppierungen tragen hier gerade mit ihrer zivilgesellschaftlich integrierten Kritik zum schönen neuen Bild bei, das Deutschland von sich in die Welt senden will. Letztlich steht am Ende der Identifikation mit dem großen Wir nur all zu oft die Nationalisierung jeder Selbst- und Fremdwahrnehmung. Wir sitzen doch alle in einem Boot - und letzteres gilt zumeist als voll.

What to talk about überhaupt ?

Das große Ganze läßt die scheinbar im Kleinen vermittelten Unvereinbarkeiten zurücktreten. Und damit erscheint jegliche kritische Frage nach dem Wir spielverderberisch. Wenn das Wie des gemeinsamen Besprechens so vielversprechend erscheint, tritt die Frage, was und wer denn überhaupt gemeinsamer Problemlösungen bedarf, in den Hintergrund. Die allseits inszenierte Loyalität unterstellt, daß innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen eine universelle Lösung vorhandener Widersprüche möglich wäre. Und wenn sie bisher nicht gefunden wurde, liegt das demnach nicht im Diskussionsgegenstand begründet, sondern lediglich an mangelhaften Kommunikationsformen. Mit derartiger Absicherung laufender Entscheidungen wird dafür Sorge getragen, daß sich oppositionelle Haltungen nicht dauerhaft aufbauen können.

Die Strategie, KritikerInnen und Betroffene just dann ins Boot gemeinsamer Verantwortung zu nehmen, wenn es um Modernisierungen und Neustrukturierungen geht, die Widerspruch hervorrufen könnten, funktioniert vorzüglich. Denn die potentiellen GegnerInnen der meist schon zuvor getroffenen Entscheidungen arbeiten daraufhin um so freudiger an der Umsetzung mit und liefern nebenbei noch eine wasserdichte Legitimation. Die repressive Toleranz dieser Konstellation läßt Kritik nicht nur zu, sondern schreibt sie zum Teil gleich selber. Wenn Konzerne Umweltverbände von vornherein zu Gesprächsrunden einladen - lieber jetzt als später - dann wirken solche Verfahren quasi als TÜV-Prüfung für neue Diskurse und Vorstöße. Und das läßt man sich auch einiges kosten.

Die Identifikation mit einer „Gemeinsamen Sache" ist also entscheidendes Merkmal Runder Tische. Daß in solchen Prozessen selten Einfluß der KritikerInnen auf die Resultate, dafür aber um so häufiger die zügige Auflösung ihrer Eigenschaft als KritikerInnen der jeweiligen Projekte sichtbar wird, belegt jeder Blick auf aktuelle Entwicklungen. Welche Lösungen sich für ein Problem durchsetzen, hängt wesentlich davon ab, was überhaupt als Problem gesehen und wie es interpretiert wird. Daß eine Runde von Profs und Studierenden nun zunächst eine gleichberechtigte Analyse dessen vornimmt, wie über welches Thema gesprochen wird, mögen wir nicht so recht glauben. Es ist nicht so, daß Kritik an Runden Tischen nichts erreichen könnte - sie kann bloß nichts Wesentliches verändern und vor allem wird sie Teil einer Ordnung, die über konsensstiftende Identifikation jede oppositionelle Regung integriert.

Imitation eines Dialogs unter Gleichen

Integration läßt sich nie rein repressiv durchsetzen, es müssen auch Anknüpfungspunkte für die Erfahrungen und Bedürfnisse der Beherrschten und der KritikerInnen geboten werden. Runde Tische sind dafür ein ideales Instrumentarium. Nur weil der Tisch rund ist, verschwindet das Autoritätsgefälle zwischen Profs und Studierenden ebensowenig wie die Omnipräsenz patriarchaler Verhaltenscodes. Im Gegenteil: Patriarchale Diskussionsstrukturen vermitteln sich eben nicht allein über Rednerpult und Sitzordnung, sondern über Alltagserfahrungen von Macht und Dominanz und damit verbundene präformierte Weisen des Zuhörens und Sprechens. Anzunehmen, eine Runde von Profs und Studierenden könnte für ein Stündchen mal eben alle herrschaftsförmigen Strukturen in Redeverhalten und Diskussionsweise ausblenden, ist absurd. Natürlich hat dies auch keineR behauptet - bloß verschafft die bewußt etablierte Imitation eines symmetrischen Dialogs „dem, was hinten rauskommt" (H. Kohl 1989) eine Legitimität, die über eine repressive Durchsetzung nie zu erzielen wäre.

Wer sich in scheinbar offenen Diskussionen im Seminar mal über die ungeschriebenen Anforderungen an das eigene Redeverhalten Gedanken gemacht hat, kann sich vorstellen, wie es mit der Autonomie eigenen Sprechens im Angesicht einer ganzen Riege Profs bestellt ist, zumal hier ja auf jeden Fall dem Anspruch genügt werden muß, „mitzuhalten" im rhetorischen Fortentwickeln der Debatte - ganz zu schweigen von möglicherweise noch anstehenden Schein- oder Prüfungsleistungen bei denselben Herren. Laut, deutlich, bestimmt, in möglichst akademischer Diktion - je apodiktischer das eigene Auftreten, desto länger die Halbwertszeit eigener Standpunkte in der Diskussion. Da viele Frauen, aber auch zahlreiche Männer diesen zweifelhaften Ritualen des Kommunizierens nicht entsprechen können oder wollen, liegt gerade in der vorab vorgenommenen Negierung der Unterschiede der scheinbar gleichberechtigten DiskussionsteilnehmerInnen der entscheidende Unterordnungsmechanismus eines runden Tisches. Nicht nur das Reden, sondern auch die Reaktion auf Gehörtes ist bestimmt von patriarchalen Mustern - was frau sagt, stößt stets auf größere Akzeptanz-Barrieren als die Verständigung „unter Männern".

Wo verantwortet wird, da fallen Späne

Dort, wo heute effektiv Macht ausgeübt und begründet wird, fehlt es selten an Rechtfertigungen der Untergeordneten. Diese erscheinen dann auch erheblich glaubwürdiger als die Verlautbarungen aus den Machtzentren. Der selbst auferlegte Zwang, vom herrschenden Politikbetrieb endlich ernstgenommen zu werden, wird zur großen Integrationsmaschine. Die eigene Relevanz wird am Grad des Dazugehörens gemessen, dazugehören zum erlauchten Kreis der Mit- und VordenkerInnen. So erklärt sich auch die Inszenierung Runder Tische gerade durch jene, die vermeintlich nicht an der Durchsetzung anstehender Maßnahmen interessiert sein dürften: Am FB03 wurden Runde Tische vor allem auch von Studierenden vorangetrieben. Motto: Im Grunde wollen wir doch alle das Gleiche. Und da muß mensch sich auch zu seiner/ihrer Verantwortung bekennen. Die Eintrittskarte zur Welt des Seriösen gibt's nämlich nicht frei Haus. Reaktionär ist dabei meist nicht das als belangloser Beipackzettel zum eigenen Tun formulierte Programm, sondern die hemmungslose Identifikation mit der nun gewonnenen Verantwortung für das große Ganze. Manchmal kommt da ein putziges Reförmchen raus, häufiger eine große Seifenblase mit reichlich neoerwachsener Rhetorik. Wichtig ist einzig, nicht in die Rolle der Spielverderberin zu rutschen, die ihre verantwortungsvoll wahrgenommene Teilhabe aufgibt.
 

Runde Tische zersägen !

Nun kann mensch der Aktiven Fachschaft im Gegensatz zu ehemals oppositionellen Gruppen, die sich gegenwärtig an den Runden Tisch der Republik tummeln, mangels linker Historie kaum die vorauseilende Selbstintegration vorwerfen - zu integrieren war da eh nichts mehr. Kritikwürdig ist um so mehr ein Verhalten, das für sich die objektive, neutral-unpolitische Vertretung homogener studentischer Interessen beansprucht. Für SozialwissenschaftlerInnen ist es ohnehin nicht gerade ein Lorbeerkranz, davon auszugehen, organisierte hochschulpolitische Arbeit könne „unpolitisch" sein - aber das nur am Rande.

Die Antwort auf anstehende Umstrukturierungen der Hochschulen kann nicht die affirmative Teilhabe an inszenierten Interessenvermittlungen, sondern nur autonome Gegenwehr sein. Es gibt keine gemeinsame Sache mit diesen Verhältnissen - weder in noch außerhalb der Uni.
 

Konsens ist Nonsens!

Runde Tische taugen nicht zum Barrikadenbau!
 


Talk am Runden Tisch

Alle Zitate nachzulesen unter http://staff-www.uni-marburg.de/~kersting/
 

„Mangelnde Pünktlichkeit, die unregelmäßige Teilnahme und das mangelnde Engagement auch nach dem Referat, kann nur durch disziplinarische oder motivationssteigernde Maßnahmen behoben werden."

Ein Satz, der für Generationen von unlustvollen Langzeitstudis zu spät kommt - aber uns kann noch geholfen werden: Disziplinarische oder motivationssteigernde Maßnahmen fehlen den Herren und Damen Zuspätkommer noch zum allzeit hochmotiviert-laserpointenden Student 2000. Das ist des Pudels Kern. Der Pudel tritt in postmodernen Zeiten manchmal auch als dicker Hund auf, das macht aber nichts.

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„Außerdem scheint es eine Unsitte zu sein, daß der erste Studierende die Veranstaltung verläßt, kurz nachdem der letzte gerade den Raum betreten hat."

Jetzt wissen wir wenigstens, warum die Seminare immer so voll sind: Würden die beiden sich absprechen und die erste gehen, just bevor der letzte hereinkommt, und die vorletzte kommen, nachdem der dritte der zweiten gefolgt ist usw. - tja, dann gäb`s wieder Platz im Hörsaal.

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„Deutlich wurde auch, daß Beratung nicht allein durch die für die offizielle Studien- und Praktikumsberatung Verantwortlichen durchgeführt werden sollte. Studienberatung beinhaltet vielfach eine Beratung zur Prüfungsordnung und eine Lebensberatung (Orientierung im Studium, Karriereplanung)."

Ob Lebensordnung, Prüfungsberatung oder andersherum: Alles fließt und die Studienverantwortlichen alleine werden uns kaum das notwendige Know-How für die schreckliche Zeit zwischen Bafög und Frühverrentung vermitteln können. Die Beratungszeiten beim Hausmeister sind daher leider auch schon ausgebucht, Verhandlungen mit den netten Herren vom Getränkeautomaten laufen noch.

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Als an einem Montag-Nachmittag im letzten Sommersemester mal ein falscher Feuerarlarm der gesamten Philfak die Melodie ihrer eigenen Verhältnisse vorpfiff, sammelte sich im Foyer ein tobender Pöbel und schrie nach der Feuerwehr - selbige irrte aber auf der Suche nach Löschwasser noch hektisch hin und her zwischen einem neuro-assoziativen Referatsworkshop und dem Linksruck-Maisingen. Jetzt wissen wir warum:

„Plakate und Infos: Eine Orientierung innerhalb der Philfak ist für Besucher und Neulinge schwierig. Die Überflutung mit Plakaten und Informa-tionsmaterial im Foyer und in den Fluren führt zu einer Unübersichtlichkeit."

Arme Erstis, sprecht darüber doch mal mit Eurer Mentorengruppe.

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Time is cash:

„In jeder Sitzung sollte ein Studierender die Rolle des Zeitmessers übernehmen. Dieser weist bei Referaten auf die betreffende Restzeit hin. (noch 2 Minuten etc.)." Dalli-quick nannte das ein großer TV-Moderator mal - aber bei uns gibt's dazu noch eine Bonus-Runde: Eine Checkliste zu Bewertung von Referaten". Die wird vom Hausmeister in maschineller Zählung ausgewertet und mit vielen schönen bunten Filzpunkten im Gang G aufgehängt.

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„Es sollte in noch stärkerem Maße auf Sponsoren für die Politikbibilothek zurückgegriffen werden."

Die Avantgarde von der Aktiven Fachschaft Politik schreitet hier beispiellos voran: Während die Fachschaft ev. Theologie noch schnöde zugunsten von illegalisierten Flüchtlingen feiert, stellt sie ihren Feten-Erlös lieber der Polbib zur Verfügung.

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Aber jetzt endlich die Utopiephase, bitte jedeR nur ein Kreuz:

„Es sollten innerhalb der Philfak alle Seminarräume mit zusätzlichen didaktischen Hilfsmitteln (White-boards, Pinwand, Flip-charts, Metaplan-Tafeln, Videobeamer etc) ausgestattet werden" Alles wird gut!